Der Mythos von den „Melkkühen der Nation“

In Wuppertal wird viel und engagiert über die Finanzierung des Verkehrs diskutiert. Ausgelöst durch unser Konzept werden Kosten und Einnahmen, Gerechtigkeit und Transparenz, Qualität und Fehlleistungen des ÖPNV oder gleich der ganzen Verkehrspolitik diskutiert. Ein Argument, das immer wieder aufkommt, (siehe auch unser FAQ) lautet ungefähr so: Die Finanzierung des ÖPNV soll die Autofahrenden nicht belasten, denn die wären ja schon die Melkkühe der Nation. Dieser Mythos ist so weit verbreitet wie falsch.


Disclaimer: Verkehrspolitik und auch gerade die Finanzierung ist komplex und man kann und darf unterschiedliche Ansichten zu den verschiedenen Faktoren haben. Wir sind uns zudem bewusst, dass die Daten nicht alle ausreichend zufriedenstellend sind. Wir stellen hier unsere Ansicht als Diskussionspapier dar und sind neugierig auf Feedback.


Schauen wir uns das also mal an: Zunächst ist zu konstatieren, das Steuern nicht mit einer konkreten Gegenleistung verbunden sind wie Beiträge (wie unser vorgeschlagener Nahverkehrsbeitrag) oder Gebühren (wie Parkgebühren). Steuern sind, so zitieren wir aus der Wikipedia,: 

[…] eine Geldleistung ohne Anspruch auf individuelle Gegenleistung […], die ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen steuerpflichtigen Personen – was sowohl natürliche als auch juristische Personen einschließt – auferlegt. Damit sind Steuern öffentlich-rechtliche Abgaben, die zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs alle zahlen müssen, […]

Wenn wir also streng nach dieser Bedeutung verfahren, zahlen Autofahrer keinerlei Beiträge ^^aut), die vom Staat zweckgebunden dem Verkehr oder der Deckung der eigenen Kosten zu Gute kommen.


Wenn wir uns die Diskussion angucken, dann argumentieren die Autofahrenden mit zwei Steuern, die sie zahlen und mit denen die Ausgaben des motorisierten Individualverkehrs (MIV) gedeckt werden sollen: Die KFZ-Steuer und die Energiesteuer auf Kraftstoffe.

Laut dieser Untersuchung des Bundesumweltministeriums (Staatliche Einnahmen und Ausgaben im Verkehrssektor: Analyse der Datensituation und konzeptionelle Erfordernisse für eine Finanzierungsrechnung) lagen die Einnahmen 2013 bei 8,490 Mrd. € für die KFZ-Steuer und 34,970 Mrd. € für die Energiesteuer. (S. 70)

Die Energiesteuer gilt übrigens auch für leichtes und schweres Heizöl, Flüssiggas, Erdgas und Kohle. Was hier wohl die Gegenleistung ist, die bezahlt werden soll?

Die Autofahrenden zahlten aus diesen beiden Steuerarten 2013 43,460 Mrd. €, die übrigens alle in den Bundeshaushalt fließen. Die Stadt Wuppertal sieht davon keinen Cent.

Die Einnahmen könnten noch höher sein, wenn Biokraftstoffe (mit 1,047 Mrd. €) und Dieselkraftstoffe (mit 7,353 Mrd. €). nicht subventioniert werden würden. (Siehe: Umweltschädliche Subventionen in Deutschland 2016)


Schauen wir uns nun die andere Seite an. Das gleiche Papier gibt als Ausgaben im Bereich Straßen für den Bund 7.,445 Mrd. €, für die Länder 3,159 Mrd. € und für die Kommunen 8,629 Mrd. € an. Die Kommunen verfügen über kaum Einnahmen außer Knöllchen und Parkgebühren, geben aber mehr aus als der Bund, der die Steuereinnahmen einstreicht. Auch hieran wird noch einmal deutlich, dass Steuern nicht zweckgebunden sind, bzw. dass der Bund es nicht gut mit den Kommunen meint. Bau und Unterhalt von Straßen kosten den Staat also grob -19,233 Mrd. €. Doppelt so viel wie die KFZ-Steuer, aber auch nur die Hälfte der gesamten (hypothetischen) Steuerlast wird in Straßen investiert. So weit, so ADAC. Aber ist das die ganze Wahrheit? 

Nein. Es gibt nämlich noch zwei weitere Kostenfaktoren, die zu betrachten sind: Subventionen und externe Kosten.

Fangen wir mit den Subventionen an. Wir orientieren uns dabei erneut am Umweltbundesamt, und zwar dem Bericht: Umweltschädliche Subventionen in Deutschland 2016. Hier werden zwei Verkehrssubventionen aufgeführt, die dem PKW-Verkehr zuzurechnen sind: Die Subvention der Arbeitswege mit 5,1 Mrd. €. (Entfernungspauschale) und das Dienstwagenprivileg, durch das dem Staat Einnahmen in Höhe von mindestens 3,1 Mrd. € entgehen. Das macht in Summe -8,2 Mrd. € umweltschädliche Subventionen. Insgesamt sind wir nun also bei -27,433 Mrd. €. 

In unserem wohlwollenden Vergleich, zahlen „die Autofahrenden“ also immer noch drauf. Aber jetzt kommt ein dicker Brocken: Die externen Kosten des Verkehrs. Damit sind Kosten gemeint, die nicht den Betrieb und die Investitionen in Infratrsuktur meinen, sondern durch den Verkehr in anderen Haushaltsposten anfallen. In Deutschland fielen 2005 im Verkehrssektor, so erklärt es diese Webseite des Bundeszentrale für politische Bildung,  80 Mrd. € an externen Kosten an, die sich zu 51% auf Unfallfolgekosten, zu 14% auf Klimafolgeschäden, zu 12% auf Lärm, zu 10% auf Luftverschmutzung und 13% auf Sonstiges Verteilen. Der Anteil des PKW an diesen externen Kosten lag 2005 bei 65%, also in absoluten Zahlen bei -52,26 Mrd. € und überstieg damit allein die Einnahmen der den Autofahrenden zugerechneten Steuern. 


Fazit: Zusammen stehen nun also 79,693 Mrd. € Ausgaben den Einnahmen in Höhe von 43,460 Mrd. € gegenüber. Es bleibt ein Minus von -36,233 Mrd. €. 

(Und wenn man die Energiesteuer als allgemeine Verbrauchssteuer wie die Alkopopsteuer, die Biersteuer, die Branntweinsteuer, die Kaffeesteuer, die Schaumweinsteuer, die Stromsteuer oder die Tabaksteuer rausrechnet, wäre es sogar ein Minus von 71,203 Mrd. €) 

Was ist das Gegenteil von einer Melkkuh?


Und wenn wir von dieser deutschlandweiten Perspektive auf die Ebene der Kommunen zurückkommen, müssen wir auch anerkennen, dass hier der MIV der am stärksten subventionierte Verkehrsträger ist. Laut dieser Studie der Universität Kassel: (Was kosten Radverkehr, Fußverkehr, öffentlicher Personennahverkehr und Kfz-Verkehr eine Kommune? – Entwicklung und Anwendung einer Methode für den Vergleich von Erträgen und Aufwendungen verschiedener Verkehrsmittel anhand von kommunalen Haushalten) sieht das bei der Stadt Kassel (die neben Kiel und Bremen als Fallbeispiel untersucht wurde), so aus:

Die Autofahrenden als Melkkühe der Nation – das ist ein gut gepflegter Mythos. Jedes Auto kostet den Staat – also uns Steuerzahler – jede Menge Geld. 


Sind wir deshalb gegen Autos?

Nein, sind wir nicht. Aber die Dosis macht das Gift. Wir sind dafür die Zahl der PKW zu reduzieren und den Umweltverbund zu stärken. Zum Wohle derjenigen, die auf ein Auto angewiesen sind, aber auch zum Wohle derjenigen, die gerne auf ein Auto verzichten möchten. Und wir sind dafür, die Debatte sachlich zu führen. Ohne Mythen.