Schöne Idee, aber …

buergerticket_plan_front_2

… das geht doch nicht? Wir geben zu, eine unkonventionelle Idee erzeugt zahlreiche Fragen. Wir haben hier mal unsere Antworten aufgeschrieben. Am Ende hängt vieles davon ab, wie man das Bürgerticket umsetzt.

Die Fragen erscheinen in loser, unsortierter Reihenfolge.

Warum sollte ich für ein Bürgerticket zahlen, wenn ich doch das Auto vor der Tür stehen habe?

Man bezahlt schon für den ÖPNV durch Steuern und/oder Strom- Gas- und Wasserpreise, ohne ihn dafür kostenfrei nutzen zu dürfen, dafür muss dann erst ein Ticket gelöst werden.

Das ist doch rechtlich nicht erlaubt!

Doch. Es gibt unterschiedliche Formen der Finanzierung: Über Steuern oder als Nahverkehrsbeitrag. Das Deutsche Institut für Urbanistik hat vor drei Jahren eine ausführliche Studie zu den rechtlichen Rahmenbedingungen durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass es machbar ist. Nahverkehrsbeiträge seien ähnlich dem Straßenverkehrsbeitrag, der bereits heute erhoben wird, wenn Straßen saniert oder gebaut werden. Beim Nahverkehrbeitrag wäre es eine regelmäßige Zahlung. Beim Nahverkehrsbeitrag ist eine konkrete Gegenleistung nicht erforderlich, nur ein möglicher Vorteil für den Beitragszahler. Vergleichbar ist das Ganze mit dem Rundfunkbeitrag. Auch das Semesterticket funktioniert nach dem Beitragsrecht.

Der Vorteil liegt im Gegensatz zur Steuer auf der Hand: Die Gelder des Nahverkehrsbeitrags sind damit zweckbezogen, im Gegensatz zum Beispiel zu Mineralölsteuer oder KFZ-Steuer. Der Nahverkehr erhält einen festen Betrag, der nicht willkürlich festgelegt werden kann, sondern anhand der Erfordernisse berechnet werden muss. Ein langfristige, zuverlässige Planung ist damit möglich.

Es wäre lediglich eine Anpassung von Bundes- und/oder Landesgesetzen nötig, die die Erweiterung des Beitragsrecht auf den ÖPNV erlaubt. Ob Kommunen das dann nutzen, bliebe ihnen überlassen.

Warum sollte ich für ein Bürgerticket zahlen, bei mir fährt kaum ein Bus?

Mit dem Bürgerticket können wir den ÖPNV ausbauen, was sowohl den Komfort, als auch Bedienungshaufigkeit und -reichweite angeht.

Aber wieso sollen wir den Verkehrsbetrieben soviel Geld geben, Luxus-Busse sind doch viel zu teuer?

Natürlich sollen die Verkehrsbetriebe mit dem Geld nicht alleine wirtschaften. Ein kompetenter Fahrgastbeirat wird zusammen mit der Politik dafür sorgen, dass die Gelder sinnvoll und fahrgastorientiert ausgegeben werden. Und: Die Größe des Budgets muss bei einer Finanzierung über Nahverkehrsbeitrag von einer kompetenten Kommission ermittelt werden.

Ich habe schon ein Abonnement, wieso sollte ich ein Bürgerticket befürworten?

Ganz einfach: Weil es durch die solidarische Finanzierung billiger wird. Sie sparen.

Sie sind ja nur gegen Autoverkehr!

Nein. Autoverkehr hat durchaus seinen Sinn und Zweck, z.B. für Handwerker, Polizei, Gehbehinderte oder Leute, die partout nicht den ÖPNV nutzen wollen. Der Autoverkehr darf aber den Umweltverbund aus ÖPNV, Rad und Fußgänger nicht übervorteilen und an den Rand drängen, wie es gegenwärtig der Fall ist. Die Massenmotorisierung führt zu Entwicklungen in den Bereichen Stadtbild, Ökonomie, Umwelt, Klimaschutz, die viele negativ sehen. Die hohe Dosis macht das Gift. Wenn mehr Leute umsteigen, profitieren auch die, die weiterhin Auto fahren möchten. Und wenn diese dann am Wochenende doch mal umsteigen möchten, müssen sie nicht erst Tarife, Geltungsbedingungen etc. studieren, sondern können einfach einsteigen und die Vorteile des ÖPNV genießen.

Ich bin Fußgänger/Radfahrer, ich nutze schon die umweltfreundlichste Mobilität. Warum sollte ich den ÖPNV fördern?

Auch hier gilt: aus Solidarität. Jeder, der den ÖPNV statt das Auto nutzt, gibt Raum frei für Fußgänger und Radfahrer. Es kann auch nicht jeder die täglichen Wege zu Fuß oder mit dem Rad zurück legen, sei aus Krankheitsgründen, wegen der Distanz oder anderen Gründen. Der Umweltverbund sollte auch ein Solidaritätsverbund sein.

Wenn alle, die für das Bürgerticket zahlen, den ÖPNV auch nutzen, bricht er doch zusammen!

Das kann man nicht pauschalisieren. Und da es noch niemand versucht hat, kann man auch keine verlässlichen Zahlen nennen, wie stark der Anstieg des ÖPNV ist. Es hängt natürlich vom bestehenden Nahverkehrsnetz ab, z.B. ob die Infrastruktur noch Reserven hat. Eine sorgfältige Planung ist hier von Nöten, das stimmt.

Aber: Wenn der ÖPNV jetzt schon aus den Nähten platzt, ist das doch der beste Beleg dafür, dass ein Ausbau gewollt wird.

Ich muss zur Arbeit in einer andere Stadt. Dafür brauche ich bereits ein Ticket, wie geht es an der Stadtgrenze weiter?

Eine schwierige Frage, in der Tat. Hier muss man ein praktische Lösung finden, wenn eine Stadt in einen Tarifverbund eingebunden ist. Lösungsmöglichkeiten gibt es verschiedene.

A) Man führt das „Bürgerticket“ ein und macht den ÖPNV fahrscheinlos. Wer die Geltungsgrenze überquert, muss dort ein Ticket kaufen oder eine Abonnement erwerben. Dadurch spart man eine oder mehrere Tarifstufen.

B) Die Stadt erwirbt für jeden Bürger vom Verkehrsbetrieb ein Basis-Abonnement, das dann dort in ein höherwertiges umgetauscht werden kann – nur die Zusatzkosten fallen an. Ein Arbeitgeber kann dann das Gleiche für seine externen Arbeitnehmer beantragen.

C) Die Stadt bezuschusst jedes gekaufte Abonnement-Ticket in Höhe des Wertes eines Basis-Abonnements. Das Ticketsystem bleibt bestehen.

D) Vielleicht gibt es ja noch eine pragmatischere Lösung.

Auf jeden Fall sollen auswärtige Pendler nicht benachteiligt werden. Das große Ziel wäre natürlich ein flächendeckendes Bürgerticket, dann wären Verbund- und Stadtgrenzen kein Problem mehr.

Kann ich mit meinem Bürgerticket dann endlich unabhängig von Verbundgrenzen fahren?

Vermutlich nicht. Aber das Bürgerticket ist ein erster Weg, den Unsinn aus Tarifgrenzen, Verbundgrenzen und Ringen aufzulösen. Wenn es überall Bürgertickets gibt, können auch diese künstlichen Grenzen fallen. Aber einer muss anfangen.

Ich bin schwerbehindert und muss bislang nicht zahlen. Wie ist das beim Bürgerticket?

Hier ist eine allgemeingültige Antwort schwierig, aber das Prinzip ist solidarisch, deshalb sollten sich Schwerbehinderte wie bislang auch befreien lassen können und dieselben Kosten tragen wie bislang auch.

Wenn man problemlos ohne Kostenbewusstsein den ÖPNV nutzen kann, wird doch soviel gefahren, dass der Klimaschutzgedanke völlig verloren geht!

Diese Befürchtung wird öfters geäußert, ist aber bislang nicht erwiesen. Bei vergleichbaren Modellen in ausländischen Städten, aber auch beim Semesterticket ist das nicht eingetreten. Der ÖPNV wird öfter genutzt, ja, aber nicht maßlos. Wenn man in Personenkilometern denkt, schneidet der ÖPNV klimatechnisch viel besser ab als das Auto, und wenn wir es schaffen, den ÖPNV vollständig mit regenerativer Energie zu betreiben, gewinnen wir.

Ich wohne weit ab von jedem ÖPNV, und es macht auch keinen Sinn, da für so wenig Leute den ÖPNV lang zu führen. Warum soll ich trotzdem zahlen?

Weil Sie trotzdem profitieren. Weniger Verkehr, eine lebenswertere Stadt, ein gesundes Klima, das bringt Ihnen einen nicht zu knappen, wenn auch schlecht individuell bemessbaren Mehrwert. Man kann mit mehr Budget natürlich auch über Möglichkeiten nachdenken, diese Bereiche in den ÖPNV zu integrieren, z.B. mit Anruf-Bussen oder selbstfahrenden Taxis zum nächsten Knotenpunkt. Auch ein stadtweites Fahrradverleihsystem könnte zum ÖPNV gehören und in diesen integriert werden. Alternativ könnte man auch über Ausnahmen nachdenken.

Solidarität schön und gut, ich finde, jeder sollte nur das bezahlen, was er nutzt.

Eine verständliche Meinung – und durchaus auch ein gutes Prinzip. Aber: Mobilität gehört zur Daseinsvorsorge, wie Schulen, Krankenhäuser, Polizei und Feuerwehr. Daher sollte es von der Gemeinschaft getragen werden, und nicht nur von dem, der es sich leisten kann. Und: 2005 waren die durchschnittlichen Kosten des Autoverkehrs in deutschen Städten 145 € pro Einwohner im Monat. Wie teuer müsste dann wohl eine Monats-City-Maut für die Autofahrer sein?